Tag 5: Ein Nachmittag in Königsbrück

Als die Pilgerin vom Duschen zurückkommt, unterhalten wir uns ein wenig. Sie kommt wie ich aus Dresden und will nach einem Schicksalsschlag das Pilgern für sich entdecken. Sie hat in einer Herberge zwischen Panschwitz und Kamenz übernachtet und ist heute morgen mit dem Bus bis Kamenz gefahren.

Ich fühle mich frisch und fit. Dass ich heute fast nie auf Asphalt laufen musste, hat mir wirklich gut getan. Hm, wieder etwas, was ich brauchte und gekriegt habe.
Und so breche ich auf zur Stadtbesichtigung. Ich war bisher noch nie in Königsbrück und was ich bis jetzt heute gesehen habe, gefällt mir gut. Ein hübsches, kleines Städtchen.

Zunächst geht es in die Kirche, die ist gleich auf der anderen Straßenseite. Unter einer Jakobsmuschel geht es durch die Kirchentür hinein und sofort werde ich begrüßt. Werner, der Küster, nimmt meine beiden Hände und begrüßt mich aufs Herzlichste. Und ich solle ihn gefälligst duzen, schließlich sind wir alle Pilger. Damit hat er ja irgendwie recht, aber gleich so jeden duzen – das geht doch auch nicht. Ich stolpere auch noch ein paar Mal über das „Du“. Bei manchen fällt es mir überhaupt nicht schwer, auch wenn sie deutlich älter sind, aber bei anderen kommt mir so viel Vertrautheit, obwohl man sich gar nicht kennt, befremdlich vor. Ich mag das „Sie“ im Deutschen. Das englische „you“ ist praktisch und natürlich vereinfacht es vieles, wenn man jeden duzen kann bzw. muss, es gibt ja keine Wahl. Aber so ein gepflegtes „Sie“… Na gut, das gehört in ein anderes Blog 😉

Werner erzählt mir viel zu Königsbrück und zur Kirche. Hier hat man ein Viertel des Ökumenischen Pilgerwegs geschafft, hier markiert die Pulsnitz die Grenze zwischen „Sachsen“ und der Oberlausitz. Das ist der Grund, weshalb hier Königsbrück gegründet wurde, als Zollstation. Viel mehr merke ich mir leider nicht von der Geschichte…

Am Altar ist ein verschnörkeltes Muster, auf das mich Werner aufmerksam macht. Ob ich erkenne könnte, was dort steht. So was kann ich nicht leiden, auf Kommando und unter Beobachtung irgendwas entziffern… Aber mit ein wenig Hilfe kriege ich die Buchstaben zusammen: Jesus. Werner erzählt mir, wie sehr er das mag, weil es im Glauben nun mal so ist, man muss genau hinschauen.
Ich beziehe es weniger auf den Glauben als viel mehr auf meine Beziehungen zu anderen Menschen. Man muss genau hinschauen, dann erkennt man, was man sich wünscht, was man erwartet, was man bekommt und was man am anderen hat.

Werner schließt mir noch den Kirchturm auf. Oh ja! Ich liebe Türme. Ich mag es die verwinkelten Treppen nach oben zu steigen. Dann das Hinaustreten auf die Plattform, der Ausblick, das Über-den-Dingen stehen. Deswegen geh ich vielleicht auch so gern wandern. Das Gefühl auf einem Gipfel zu stehen, den Blick ins Unendliche schweifen zu lassen, die Anstregnung noch zu spüren, aber gleichzeitig dieses Glücksgefühl, das Erfolgserlebnis. Das ist wohl der Unterschied zum Aufs-Meer-starren, da verliert sich der Blick auch im Unendlichen, aber ich musste ihn mir nicht erst erkämpfen.

Die Dresdnerin besteigt kurz nach mir den Turm. Sie erzählt mir etwas von Königsbrücker Porzellan. Kenn ich nicht. Sie will die Werkstatt anschauen, ob ich sie begleiten will. Nein, will ich nicht. Das interessiert mich nicht. Ich will lieber so ein bißchen bummeln.

Ich will mir ein Bettlaken kaufen, denn die Isomatte ist viel zu schmal als hygienischer Schutz auf den Matrazen. Bei so einem Bettlaken muss man sich keine Gedanken machen, dass man irgendwann mit dem Mund auf der Matraze aufwacht und schwerer oder unhandlicher ist es auch nicht.
Ich bin vorhin an einem Wäschegeschäft vorbeigegangen. Da geht es jetzt hin und wenig später nenne ich ein kuscheliges, orangefarbenes Biber-Bettlaken mein eigen. Ich freu mich. So sehr hat sich wohl noch niemand jemals über ein Bettlaken gefreut.

Damit ich das Bettlaken nicht die ganze Zeit mit mir herum schleppen muss und weil die Wege hier alle recht kurz sind, beschließe ich es erstmal in die Herberge zu bringen. Da sind inzwischen die beiden Kölner auch angekommen und damit sind alle vier Matrazen belegt. Na, das kann ja gemütlich werden. Ich beziehe „mein Bett“ und bin froh, die einzelne Matraze genommen zu haben. Dann geht es wieder auf Stadterkundung.

Der Pfarrer hat mir gesagt, dass hier heute auch kein Gottesdienst ist. Das gibt’s doch nicht. Seit drei Tagen will ich zu einem Gottesdienst und finde einfach keinen. Ich versuche mein Glück bei der katholischen Kirche (natürlich geschlossen), aber auch da nix. Kurz überlege ich heut Abend mit dem Bus nach Kamenz zu dem Ökumenischen Gottesdienst zu fahren, aber dann kommt es mir auch albern vor, beim Pilgern noch mal eine Tagesetappe zurückzufahren. Vorwärts! 😉

An der Pulsnitz geht es entlang und ich schlendere noch eine Runde über den Friedhof. Dort bekomme ich ein Gespräch zwischen zwei Frauen mit, das damit endet, dass die eine der anderen einen schönen Sonntag wünscht. WAS?! Sonntag? Ist morgen Sonntag? Muss ich übermorgen schon zurück? Heute ist doch Freitag, oder? Ich bin verwirrt. Komplett! Wann bin ich losgelaufen? Sonntag? Montag? Dienstag? Wie viele Tage bin ich unterwegs? Vier? Fünf? Sechs? Oje, wie sehr kann man aus der Zeit fallen…?
Es hilft nix, ich muss rauskriegen, welcher Tag heute ist. Die Frauen sind schon weg, aber auf der anderen Straßenseite ist ein Zeitschriftenladen. Rein. Auf die Zeitungen geguckt. Freitag, 07.05.2010. Auf allen Zeitungen. Gut. Puh. Noch drei Tage. Das Weltbild stimmt wieder.
Ich kaufe gleich eine der Zeitungen (sicher ist sicher) und beschließe noch ein wenig auszuruhen, bevor es heute Abend zum Italiener essen geht.

Die Dresdnerin ist auch in der Herberge, aber viel mit ihrem Handy beschäftigt, während ich ausführlichst Zeitung lese. Ich koche mir einen Tee, frage sie, ob sie auch einen will. Sie bedankt sich überschwenglich. Ganz ruhig, ist doch selbstverständlich!

Die Männer wollten auch beim Italiener essen, ob sie schon dort sind? Aber so zeitig? Ich hab noch gar keinen Hunger. Ich blättere durch das Gästebuch. Die Herberge wird sehr gelobt, was ich nicht wirklich nachvollziehen kann. Es ist ok, aber wie gesagt es gibt Ameisen, dafür aber keinen Spiegel im Bad. Aber man braucht ja nicht viel als Pilger.

Meine Mitpilgerin steht auf, nimmt ihre Tasse und geht ins Bad sie abwaschen. Hallo? Ich hab meinen Tee auch ausgetrunken! Hättest meine Tasse ruhig mitnehmen können. Dir koch ich noch mal nen Tee…!

Gegen halb 7 bekomm ich langsam Hunger. Die Dresdnerin bekommt Besuch von einem Freund aus Dresden und will nicht mit. Na, vielleicht treffe ich ja die beiden Männer.
Das tue ich. Allerdings nicht in der Pizzeria sondern direkt vor der Herberge. Sie waren schon essen und haben bei einem Stadtbummel meine beiden Mädels getroffen, die im Armenhaus übernachten. Wie schön! Sehe ich sie doch wieder! Ich freue mich und bin ein bißchen neidisch. Sie scheinen es dort recht gut getroffen zu haben und ein Abend zu dritt bei Kaminfeuer und Kerzenschein mit den beiden hätte mir gut gefallen. Dann wär vielleicht auch mal ein etwas persönlicheres Gespräch entstanden.
Aber nun bin ich hier, kann duschen und das ist auch gut.

Auf dem Marktplatz spielt eine gar nicht üble Schülerband und die Fahrradfahrer aus Reichenau haben sich hier alle versammelt. Ich höre kurz zu. „Kling Klang, du und ich…“

Dann geh ich in die Pizzeria, zwei Tische sind besetzt. Ich suche mir einen kleinen am Rand.
Ich bin alleine beim Italiener! Was man als Pilger alles so macht. Alleine essen war ich noch nie. Also wirklich groß essen, meine ich. Mal in nem Imbiß oder auch mal nen Kaffee oder ein Bier trinken. Aber so richtig beim Italiener essen gehen? Das ist ne neue Erfahrung für mich. Und keine schlechte. Ich bin Pilger. Da fühl ich ihn wieder, den Sonderstatus.

Ich bin so froh, dass ich weiter laufen kann! Der Weg tut mir so gut. Und der Nachmittag heute war schön und auch heute Abend fühle ich mich zum ersten Mal so gut, dass ich meine Leute aus Dresden nicht vermisse. Ich bestelle einen Viertel Rotwein, spiele kurz mit dem Gedanken meine Zimmergnossen mit Knoblauchspaghetti zu erfreuen und finde mich so lustig dabei, bestelle dann aber doch Tagliatelle mit Spinat und Gorgonzola-Soße. Mjam! Lecker!

Neben mir sitzt ein mittelaltes Paar am Tisch. Sie unterhalten sich kaum, verbringen den Abend zwar zusammen, aber so „nebeneinander“. So möcht ich mal nicht aussehen in meiner Beziehung!

Wenig später kommt die Dresdnerin mit ihrer Begleitung. Wir nicken uns nur kurz zu. Ich bestelle die Rechnung und muss schmunzeln über die Art, wie ich das Portemonnaie auf den Tisch lege und beide Hände darauf verschränke. Genauso macht es mein Papi. 🙂

Ich rauche noch eine Zigarette auf dem Marktplatz. Es ist ein schöner, lauer Abend. Jetzt wär es doch schön eine gute Freundin hier zu haben und wenn es nur auf eine Zigarettenlänge ist, bei der man der Nacht beim Dunklerwerden zuschaut.

Die beiden Männer in der Herberge schlafen schon. Ich lege mir meine Sachen für die Nacht zurecht, gehe ins Bad. Ich bin noch nicht wirklich müde, aber vielleicht hilft der Wein noch etwas. Ich bin froh, dass es in den Herbergen überall Decken gibt. Denn die Luft ist auch mit halb geöffnetem Fenster schon schlecht genug und so wäre es im dünnen Schlafsack doch zu kalt.
Ich liege noch lange wach, nehme zu sehr die Geräusche der beiden anderen wahr. Kann man das ausblenden? Oropax Ohropax sind nichts für mich, ich könnte mich noch weniger, also überhaupt nicht entspannen, wenn neben dem Sehen noch ein Sinn ausgeschaltet wird.

Als ich schließlich am Eindösen bin, kommt die Dresdnerin zurück. Raschel, Klapp, Ritsch-Ratsch. Na wunderbar!
Nach gefühlten Stunden liegt sie endlich im Schlafsack.
Ok, Katha, jetzt denk an was schönes, ignoriere die Geräusche der anderen und dann schlaf gut!
Pilgern ist toll, wenn nur die Nächte mit den anderen Pilgern nicht wären…

One response to this post.

  1. Posted by cristoforo on 27. Mai 2010 at 18:23

    ….ich sage nur : OHROPAX 😉

    Ich hoffe du hattest einen schönen geburtstag gefeiert- aber mit so vielen Sinneseindrücken und einer neugeborenen und wiederaufgetankten Seele…. 😉

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